Berufsbilder

Maestra suggeritrice

Lisa Rebol // Nationaltheater Mannheim

2022 weniger Farbe  c  Peter Klecker
© Peter Klecker

Was macht man als Maestra suggeritrice?

Das Berufsbild des „Maestro suggeritore“ ist im italienischen Opernbetrieb des 19. Jahrhunderts entstanden und existiert in dieser Form nun auch an meist größeren Opernhäusern außerhalb Italiens. Die Bezeichnung verweist auf eine Kombination der Berufe des Dirigenten („Maestro“) und des Souffleurs („suggeritore“). Praktisch gesehen bedeutet das, dass man in diesem Beruf als Co-Dirigent*in fungiert, der die Sänger*innen auf der Bühne mithilfe eines Klavierauszugs aus dem Souffleurkasten dirigiert und sie durch antizipierendes Einsagen des Textes betreut. So kann sich der*die Hauptdirigent*in mehr auf Orchesterzusammenspiel und künstlerische Interpretation konzentrieren, während der Maestro suggeritore/die Maestra suggeritrice* sich ganz den meist wenige Meter vor ihm*ihr agierenden Sänger*innen widmet und ihnen dadurch die notwendige Sicherheit gibt, ihr künstlerisches Potenzial voll ausschöpfen zu können. Dabei muss er*sie sich interpretatorisch natürlich dem Dirigat des Hauptdirigenten/der Hauptdirigentin* unterordnen und dieses ständig über einen Monitor verfolgen. Die Aufgabe besteht also in der Vermittlung zwischen Hauptdirigent*in und Bühne, um beide Seiten gleichzeitig zu unterstützen.

 

Wie wird man Maestra suggeritrice? Welche Fähigkeiten braucht man dafür?

Eine spezielle Ausbildung für diesen Nischenberuf (im doppelten Sinne, denn der Arbeitsplatz ist ja quasi auch in einer Nische – man darf also nicht zu klaustrophobisch sein!) gibt es so nicht. Meistens führen daher zwei unterschiedliche Wege in so eine Tätigkeit: Entweder man hat als Sänger*in Interesse am Soufflieren und eignet sich die dirigentischen Fähigkeiten an, oder aber, viel besser für diesen konkreten Beruf, man ist bereits ausgebildete*r Dirigent*in und/oder Korrepetitor*in und beginnt in der Theaterpraxis zu soufflieren, und wird auf ganz natürliche Weise die Hände dabei unterstützend einsetzen. Die dirigentischen Fähigkeiten, die man mitbringen sollte, müssen im Übrigen nicht so raffiniert im Ausdruck sein wie die des Hauptdirigenten/der Hauptdirigentin*. Viel wichtiger ist es, würde ich sagen, einen sehr „künstlerisch“ agierenden Dirigenten in jedem Moment lesen und auf eine ganz deutliche, klare Gestik (manchmal auch einfach durch „Verkehrspolizisten“-Gesten) übersetzen zu können. Außerdem ist es von Vorteil, dirigentisch denken zu können, d.h. in Taktgruppen zu denken, Musik analytisch zu hören sowie die musikalischen Forderungen eines Dirigenten/einer Dirigentin* betreffend Tempo, Dynamik und Gestaltung vorauszudenken, damit man sie als Co-Dirigent*in antizipierend unterstützen kann. Neben diesen weitreichenden musikalischen Fähigkeiten gibt es noch andere „menschliche“, die in diesem Beruf von Bedeutung sind: das Einfühlungsvermögen in den/die Sänger*in auf der Bühne, der*die großen Anspannungen ausgesetzt ist, Musik und Szene auswendig zu beherrschen, und die Fähigkeit, an Menschen „abzulesen“, was sie in diesem Moment brauchen. Und schließlich, nicht zu vergessen, die Kenntnis der gängigen Opernsprachen (Deutsch, Italienisch, Französisch, Englisch, aber auch Russisch, Tschechisch, Ungarisch... je mehr, desto mehr Möglichkeiten des Einspringens hat man!).

 

Wie kam es zu der Entscheidung, Maestra suggeritrice zu werden?

Mein ursprüngliches Ziel war es, als Korrepetitorin am Theater zu arbeiten, was ich auch einige Jahre gemacht habe. Das wiederum war eine gute Basis für meinen jetzigen Beruf, der es mir ermöglicht, mehr Repertoire kennenzulernen, als ich als Pianistin spielen könnte. Ich glaube, dass das ein wesentlicher Faktor bei meiner Entscheidung für diese Tätigkeit war: Die Vielseitigkeit und Abwechslungsdichte, die man im Repertoirebetrieb hat, während man selbst nicht dem Stress auf der Bühne und im Graben ausgesetzt ist. Dafür muss man aber natürlich auch damit klarkommen, als Künstler*in bei einer Aufführung so gar nicht im Rampenlicht zu stehen.

 

Was waren die größten Herausforderungen und was ist gut gelungen?

Herausforderungen können ja auf den unterschiedlichsten Ebenen bestehen. Hier ein paar Beispiele: Bei einer Produktion des „Tristan“ hatten Tristan und Isolde im Liebesduett im 2. Aufzug gar keinen visuellen Kontakt zum Hauptdirigenten, da sie sehr weit hinten auf der Bühne stehen mussten. Sie waren also für Einsätze total auf mich angewiesen, sowohl was den Zeitpunkt des Einsetzens als auch den stets sehr ähnlichen Text der Einwürfe betraf. Die große Kunst beim Soufflieren besteht wohl darin, so laut zu sprechen, dass die Sänger*innen es gut hören, aber so leise, dass man es draußen im Publikum nicht hört. In diesem Fall ist das Orchester ja groß besetzt und die Musik in ihren sich wiederholenden Aufschwüngen ziemlich deckend, aber ich tat auch meinen Teil, um mich hörbar zu machen und habe wirklich die Zeile für jeden neuen Takt geschrien und groß auf denjenigen gezeigt, der nun singen sollte – in der Hoffnung natürlich, dass davon draußen nichts zu bemerken ist. Im dritten Aufzug hat Tristan dann noch eine rhythmisch komplizierte Taktwechsel-Stelle, bei der sich in unserer Inszenierung die Bühne ständig drehte – was es nicht einfacher machte, mit ihm Kontakt zu halten. Natürlich sind Werke wie der „Tristan“, „Ring“, „Parsifal“ etc. schon allein aufgrund der Länge der Zeit, die man konzentriert ist, erschöpfend. Herausforderungen anderer Art gibt es in zeitgenössischer Musik, wenn die Rhythmik kompliziert ist und, wie in beiden Fällen, die ich hier am Nationaltheater Mannheim hatte, der Hauptdirigent hinter den Sängern steht und ich als Co-Dirigentin doch die Position einer Hauptdirigentin habe. Eine persönliche Herausforderung für mich war außerdem meine erste russische Oper, „Eugen Onegin“, einfach weil ich noch nie, die kyrillischen Wörter lesend, Russisch souffliert hatte. Letztendlich kann es psychologisch auch eine Herausforderung sein, wenn man als Souffleur*Souffleuse mitten im Orchester platziert ist oder dieses sehr durchsichtig spielt (wie z.B. bei Alter Musik), zu wissen, dass jede verbale Äußerung wahrscheinlich auch vom Publikum wahrgenommen wird, und man trotzdem dafür verantwortlich ist, dass jede*r Sänger*in den richtigen Text hat.

 

Was macht Ihnen dabei am meisten Spaß?

Im Grunde macht mir das Dirigieren bei meiner Tätigkeit am meisten Spaß, nicht das Vor-Soufflieren. Also zum Beispiel bestimmte Einsätze zu geben, weil der Hauptdirigent sie in den Proben vielleicht nicht immer gegeben hat, und man den Sänger dadurch möglicherweise „rettet“. Überhaupt macht es mir am meisten Spaß, eine zusätzliche Information zu zeigen, die über das Dirigat des Hauptdirigenten/der Hauptdirigentin* hinausgeht, da ich finde, dass es grundsätzlich keinen Sinn macht das Taktieren zu doppeln – es sei denn, der/die Sänger*in ist nicht im Tempo. Es macht mir auch Freude, wenn ich sehr ausdrucksstarkes Dirigieren des Hauptdirigenten in einfaches übersetzen kann und dadurch dem/der Sänger*in mehr Klarheit verschaffe. Natürlich ist es auch schön, die Dankbarkeit für alle Hilfestellung, die man so leistet, nach einer Vorführung zu ernten. Aber zuletzt muss ich doch noch sagen, dass der allermeiste Spaß in der Beschäftigung mit der Komposition liegt, deren zugrundeliegender Einfallsreichtum mich jedes Mal wieder begeistert.

 

Welchen Tipp haben Sie für angehende Maestri suggeritori / Maestre* suggeritrici?

Wenn man ohnehin Dirigent*in ist, sich auch intensiv mit den opernüblichen Fremdsprachen und deren Struktur und Aussprache zu beschäftigen, was vielleicht im Dirigierstudium zu kurz gekommen sein könnte. Generell sich natürlich viel mit Oper zu beschäftigen (hören, spielen, dirigieren, singen), um möglichst viel Repertoire kennenzulernen. Ansonsten einfach offen und selbstsicher zu bleiben und sich auch nicht zu viel sagen lassen, wie man diesen Job nun auszufüllen hat.

 

Lisa Rebol (*1986 in Graz) studierte zunächst Komposition und Musiktheorie an der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz und Romanistik (Französisch, Italienisch) an der Universität Graz, danach Musiktheaterkorrepetition bei Wolfgang Bozic und Orchesterdirigieren bei Wolfgang Dörner. Während ihres Studiums leitete sie den Chor des französischen Instituts in Graz, korrepetierte für den Chor der Kunstuniversität, war an der Einstudierung von „Carmen“ an der Oper Graz tätig und nahm an Meisterkursen in London (Benjamin Zander) und Graz (AIMS) teil. Von 2016-2019 war sie als Solo-Repetitorin am Landestheater Neustrelitz/Neubrandenburg, als Solo-Repetitorin und Assistentin des GMD am Theater für Niedersachsen Hildesheim und als Solo-Repetitorin mit Dirigerverpflichtung am Theater Chemnitz engagiert. Seit 2019 arbeitet sie als Maestra suggeritrice am Nationaltheater Mannheim.

Stand: November 2022