Berufsbilder

Korrepetitor und Dirigent

Julian Gaudiano // Oper Graz

Julian Gaudiano
© KOPF & KRAGEN Fotografie

Was macht man als Korrepetitor_in und Dirigent_in?

Das Berufsbild Korrepetitor_in und Dirigent_in in einer Person gibt es eigentlich nur an einem Opernhaus.

Korrepetitor_in zu sein ist der schönste Beruf, wenn man wie ich vom Gesang in all seinen emotionalen Ausdrucksfarben fasziniert ist. Meine Vorbereitung beginnt oft einige Zeit vor dem eigentlichen Probenbeginn. Sobald ich weiß, dass eine Produktion ansteht, besorge ich mir den Klavierauszug aus dem Archiv. Zuhause beginnt dann meine Arbeit mit dem Einrichten des Klavierauszuges: Ich spiele das Stück einige Male durch, trage mir Probenziffern oder Fingersätze ein und lerne die Gesangsstimmen. So weiß ich während der Proben genau, was jede_r Solist_in zu singen hat.

Einige Monate vor Produktionsbeginn fange ich an mit den einzelnen Sänger_innen zu arbeiten. Im Klavierzimmer gehen wir die jeweilige Partie durch, arbeiten an Aussprache, Tempo, Phrasierung, Interpretation der Rolle. Ich achte darauf, dass die Partie bei Probenbeginn auswendig beherrscht wird und unterstütze die/den Sänger_in in ihrer/seiner Vorbereitung auf die musikalischen Proben mit der Dirigentin/dem Dirigenten.

Ab den szenischen Proben werde ich dann sozusagen zum „Orchester“. Ich spiele den Orchesterpart während der Proben am Klavier, stehe aber weiterhin den Solist_innen mit Korrekturen oder hin und wieder mit einer Solokorrepetition zur Seite. Während der Endproben assistiere ich der Dirigentin/dem Dirigenten, meist, indem ich an verschiedenen Plätzen im Saal sitze und darauf achte, dass die Balance im Klang zwischen Stimmen und Orchester im Gleichgewicht ist.

Dirigent_in zu sein ist ein ganz besonderer, erfüllender Beruf, denn man ist das „musikalische Gehirn” einer Opernproduktion. Wenn ich anfange mich vorzubereiten, hole ich aus dem Archiv nicht nur den Klavierauszug, sondern auch die Orchesterpartitur. Zuhause lerne ich die Stimmen aller Instrumente und Sänger_innen und mache mir Eintragungen und Gedanken zum Stück. Einige Zeit vor Produktionsbeginn treffe ich  mich mit der/dem Regisseur_in und ihrem/seinem Team, um uns auszutauschen und gemeinsam eine schlüssige Interpretation des Werkes zu entwerfen. Vor den szenischen gibt es musikalische Proben, bei denen ich mit den Sänger_innen arbeite und ihnen meine Vorstellung zum Stück und zur Musik vermittle. Obwohl die/der Regisseur_in die szenischen Proben leitet, bin ich dort so oft wie möglich anwesend. Auch für mich ist es wichtig zu wissen, wo die Darsteller_innen stehen und was auf der Bühne vor sich geht. Der rege Austausch zwischen Regisseur_in und Dirigent_in ist besonders in dieser Phase der Proben sehr wichtig.

Dann beginnt die für mich persönlich spannendste Probenphase. Zuerst probe ich mit dem Orchester alleine (OA), daraufhin beginnen die sog. Bühnenorchesterproben (BO) - die ersten Proben mit allen Beteiligten. Hier steht für mich der „organisatorische“ Aspekt im Vordergrund: szenische und musikalische Übergänge müssen reibungslos funktionieren; die klangliche Balance zwischen Orchester, Solist_innen und Chor wird in Absprache mit den Assistent_innen im Saal justiert. Ab der dritten BO feilen wir bereits an musikalischen Details und arbeiten auf einen guten Spannungsbogen, sowohl auf der Bühne als auch im Graben, hin. Bald folgen dann schon die Hauptprobe mit Originallicht, -kostüm und -maske, die Generalprobe und endlich die Premiere. Das Licht geht aus, das Publikum lauscht gespannt, der Taktstock hebt sich...es geht los!

 

Wie wird man Korrepetitor_in und Dirigent_in?

Will man Korrepetitor_in werden, führt der sinnvollste Weg, nach Abschluss eines Studiums in Dirigieren, Korrepetition oder Klavier, über eine Bewerbung an einem Opernhaus. Man wird zu einem Probespiel eingeladen, wo man sein Können unter Beweis stellt: meistens werden anspruchsvolle Passagen aus einigen Werken der Opernliteratur vorgespielt; außerdem gibt es eine Arbeitsprobe, bei der jede_r Bewerber_in mit einer/einem Sänger_in arbeitet. Nach bestandenem Probespiel beginnt die Arbeit als Korrepetitor_in.

Will man hingegen nach dem Studium den Weg zur Operndirigentin/zum Operndirigenten weiterverfolgen, dann halte ich es für wichtig und sehr hilfreich trotzdem einige Zeit als Korrepetitor_in Erfahrungen zu sammeln. Als sog. Korrepetitor_in mit Dirigierverpflichtung übernimmt man dann auch dirigentische Aufgaben: z.B. das Dirigieren einer szenischen Probe mit Klavier, oder einer Bühnenmusik bis hin zum Dirigat einer Repertoirevorstellung.

 

Wie lassen sich Ihre beiden Tätigkeiten vereinbaren?

Sehr gut, sie bereichern sich sogar gegenseitig! Das Spiel der Korrepetitorin/des Korrepetitors nähert sich im Klang dem Orchester an; sie/er weiß, welche Orchesterlinien für die/den Sänger_in auf der Bühne tatsächlich hörbar sein werden. Durch Erfahrung weiß sie/er wie flexibel ein Orchester bei der Sängerbegleitung ist.

Die/der Dirigent_in hingegen wird durch das Klavierspiel unmittelbar in der Begleitfähigkeit geschult, wird durch die lange Probenarbeit mit den Sänger_innen meiner Ansicht nach viel sensibler in Tempo- und Agogikfragen. Vom Klavier aus kann die/der Korrepetitor_in mit erfahrenen Dirigent_innen zusammenarbeiten und seine Kenntnis des Stücks durch alle Probenphasen hindurch konstant reflektieren und vertiefen.

 

Welche Fähigkeiten braucht man dafür?

Als Korrepetitor_in: Gutes Blattspiel, ein „Auge bei der Dirigentin/beim Dirigenten und ein Ohr bei der/beim Sänger_in“, Stilsicherheit, Spaß bei der Suche nach Klangfarben am Klavier, fundiertes Wissen über die Funktionsweise der „Opern”-Stimme, Beherrschung der wichtigsten „Opernsprachen“ (Italienisch, Deutsch, Französisch), Sinn für dramatische Sprachgestaltung, Sicherheit ausstrahlen, Anpassungsfähigkeit an die musikalischen Vorstellungen des Dirigenten, Empathie, konstruktive Kritikfähigkeit.

Als Dirigent_in: Tempogefühl, solide Schlagtechnik, Kenntnis der Instrumenten- und Stimmkunde, Sinn für Klangfarben, emotionale Vorgänge und Handlungen auf der Bühne musikalisch untermalen zu können, Bewusstsein für musikdramatische Zusammenhänge, umfassende humanistische Bildung, souveräne Ausstrahlung, schnelle Entscheidungsfähigkeit, Balance zwischen Durchsetzungsfähigkeit und Flexibilität, gute Nerven, den Blick auf die Hauptsache richten zu können, Menschenkenntnis.

 

Was macht Ihnen dabei am meisten Spaß?

Als Korrepetitor gibt es für mich zwei Highlights in einer Opernproduktion: eines davon ist die erste Korrepetition im Klavierzimmer. Hier legt man gemeinsam mit der Solistin/dem Solisten den Grundstein der musikalischen Gestaltung einer Partie. Mein zweiter Lieblingsmoment ist die Klavierhauptprobe. Ich spiele die ganze Oper bei Originallicht und -kostümen am Klavier durch: Es ist sozusagen meine ganz persönliche Premiere!

Als Dirigent liebe ich besonders die musikalischen Proben mit Sänger_innen und Korrepetitor_in, bei denen man gemeinsam die Gestaltung der Musik und des Textes erarbeitet. Dann sind für mich die BOs ein absoluter Höhepunkt, weil dort zum ersten Mal alle Elemente der Produktion zusammenkommen. Jetzt kann man erstmals im Zusammenhang an bestimmten musikalischen und szenischen Details feilen. Der Beruf der Dirigenin/des Dirigenten ist aber vor allem so spannend, intensiv, und abwechslungsreich weil man sich mit jeder Produktion und jeder Vorstellung auf eine neue Reise begibt. Das finde ich das Schönste!

 

Welchen Tipp haben Sie für angehende Korreptitor_innen und Dirigent_innen?

Korrepetitor_innen empfehle ich bereits im Studium so oft wie möglich Sänger_innen zu begleiten und sich ein breites Repertoire an Opern und Vorsingarien anzueignen; das Blattspiel zu trainieren; zu beobachten wie erfahrene Korrepetitoren spielen und mit Sänger_innen arbeiten; nicht vor dem Schlag der Dirigentin/des Dirigenten zu spielen, da Orchester meist spät spielen; beim Studium einer Oper immer auch die Partitur bei der Hand zu haben; die Beschäftigung mit Spieltechniken am Cembalo und am Hammerklavier; viele Aufnahmen zu hören, auch aus der erste Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Angehenden Dirigent_innen rate ich, sich im Studium eine gute Schlagtechnik ohne überflüssige Bewegungsmuster anzueignen; im Studium nicht nur das symphonische, sondern auch das Opernrepertoire kennenzulernen; so oft es geht ein Orchester, Ensemble oder einen Chor zu dirigieren; anderen Dirigent_innen besonders bei der Probenarbeit zuzuschauen; sich mit erfahrenen Orchestermusiker_innen auszutauschen; die Beschäftigung mit der historischen Aufführungspraxis; beim Studium einer Partitur auch Sekundärliteratur heranzuziehen; eine umfassende Bildung in Kunst, Literatur und Geschichte.

 

Julian Gaudiano ist seit 2018 als Korrepetitor mit Dirigierverpflichtung an der Oper Graz engagiert. Dort dirigierte er u. a. “Polnische Hochzeit” und „Cinderella”. In der Saison 2020/21 wird er „Anatevka“, „Die Großherzogin von Gerolstein“,  „Undine“, „Florentiner Hut“, sowie „Der Korridor“ dirigieren. Seine Ausbildung als Dirigent, Korrepetitor und Cembalist absolvierte er an der Kunstuniversität Graz, weiterhin studierte er Klavier, Komposition und Literatur in Rom.

Stand: August 2020